Glück kann man lernen!
Glück ist nicht etwas, was einfach passiert – es ist eine Wahlmöglichkeit!
„Was macht Sie heute glücklich?“, frage ich Dr. Saamdu Chetri, den Exekutivdirektor des Gross National Happiness Centre in Bhutan. Er antwortet ganz selbstverständlich: „Ich bin heute morgen aufgewacht auf und habe erkannt, dass ich noch lebe und noch einen Tag Zeit habe, um Menschen zu dienen. Das macht mich glücklich, heute und an jedem neuen Tag.“
Zwischen den globalen Riesen China und Indien eingesperrt, hat der Binnenstaat und das ferne buddhistische Königreich Bhutan einen mythischen Ruf auf der ganzen Welt, für seine Annäherung an den vielleicht am schwersten zu beschreibenden Zustand auf dieser Welt – Glück. Umgeben von den Gipfeln des Himalaya, alten Klöstern und prächtigen Festungen, sind 50% des Bhutan als Nationalpark geschützt. Gebetsfahnen flattern im Wind. Ich fange einen schnellen Blick auf dieses bezauberndee Land auf, als Saamdu seinen Laptop senkt, damit ich aus dem Fenster sehen kann.
Beim Gespräch mit Saamdu, dem renommierten Lehrer für das Kultivieren des Glücks in unserem täglichen Leben, drängen sich zwei Fragen in den Vordergrund: Was ist das Geheimnis des Glücks und wie kann man einem Menschen das Glücklichsein beibringen?
In seiner pragmatischen, aber reichlich aufrichtigen Weise erklärte Saamdu, dass es ein weit verbreitetes Missverständnis über das Glück gibt: „Du kannst das Glück nicht lehren. Glück ist eine Fertigkeit, die Sie erwerben. Glück zu lehren, würde bedeuten, dass es außerhalb von euch existiert, und das ist nicht der Fall. Das Glück ist in euch und es gilt, die Fähigkeit zu erlernen, es sorgfältig zu nähren, um besser zu verstehen und zu akzeptieren, wer ihr seid und was die Wirklichkeit des Lebens ausmacht.
Wenn man sehr wenig über Bhutan weiss, ist es wichtig zu verstehen, dass diese winzige, aber leistungsfähige Nation das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 1971 als das einzige Mittel zur Messung des Fortschritts ablehnte und seitdem eine andere Formulierung anstrebt. Das Land ist stolz darauf, den Wohlstand seiner 788.000 Einwohner stattdessen nach den Prinzipien des Bruttosozialglücks zu bewerten, um die geistige, körperliche, soziale und ökologische Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Bevölkerung und Ökologie zu quantifizieren. Zu den entscheidenden Maßstäben gehören gute Regierungsführung, nachhaltige sozio-ökonomische Entwicklung, Erhaltung und Förderung der Kultur sowie Umweltschutz. Neben dem „Zentrum für Bruttonationalglück“ ist die „Gross National Happiness Commission“ das wichtigste Mandat der Regierung. Sie soll sicherstellen, dass die Idee des Großen Nationalen Glücks über das Individuum hinaus erweitert und in die Planung und die Politikgestaltung im ganzen Land eingebunden wird. Die Kommission bewertet den Erfolg der Entwicklung in Wirtschaft und Regierung nach deren Nutzen für die bhutanische Gemeinschaft und die Welt. Saamdu erklärt dies am einfachen Beispiel des Strassenbaus: „Werden mehr Strassen auf lange Sicht zum Glück führen, wenn also mehr Menschen zur Arbeit fahren, mehr Zeit allein verbringen und es ausserdem erhöhte Umweltverschmutzung bedeutet? Nein.“
Bhutan kann aufgrund seiner Prioritäten für nationales Wohlbefinden über materielles Wachstum sehr wohl etwas merkwürdig anmuten, aber der Internationale Währungsfonds (IWF) hat in den vergangenen zwei Jahren in Folge Bhutan die drittschnellste wachsende Wirtschaft der Welt prognostiziert.
Es sind die einfachen, individuellen und wertorientierten Entscheidungen, die wir jeden Tag bewusst treffen, die das nationale Glück stetig vergrössern.
Wenn die Ökonomie zusammenbricht, steigen politische und soziale Spannungen und unsere Umwelt schreit nach zärtlicher Fürsorge im Angesicht der globalen Erwärmung und grosser Zerstörung zugunsten der Wirtschaft. Bhutan steht alleine da als Modell für eine langsame, nachhaltige, werteorientierte Veränderung, die auch tatsächlich funktioniert.
„Veränderung funktioniert nicht von oben nach unten oder unten nach oben. Sie geschieht von innen heraus“, erklärt Saamdu. „Der soziale Wandel wird durch den menschlichen Wandel bestimmt, und als Menschen müssen wir uns verändern. Wir müssen Glück als eine lebendige Praxis verkörpern.“
Wie sieht also das Bruttonationalglück in der Wirklichkeit aus?
„Es sieht persönlich aus“, antwortet Dr. Saamdu Chetri. „Es sind die einfachen, individuellen und wertorientierten Entscheidungen, die wir jeden Tag bewusst treffen, die das nationale Glück in Bhutan stetig vergrössern. Hier in unserem Zentrum beginnt die Praxis mit 10-15 Minuten Meditation am Morgen, gefolgt von sechs Minuten des Gebets. Wir essen alle unsere Mahlzeiten zusammen und sprechen sehr offen über unsere Gefühle. Wir sind dankbar und demütig für alles, was wir haben, und wir zeigen Liebe zu jedem, den wir treffen. Wir lächeln, weil wir am Leben sind, und wir zeigen großen Respekt zur Natur, weil wir ohne die Sonne, Land und Wasser nicht existieren würden. Wir sind alle auf diese Weise miteinander verbunden.“
Die Kernaufgabe des Zentrums besteht darin, Menschen auf der ganzen Welt zu unterstützen, das Glück als tägliche Aufgabe aktiv zu pflegen.
„Wir können möglicherweise nicht in der Lage sein, die Industrie, Regierungen oder Konzerne zu verändern, aber wir können uns als Menschen – als Konsumenten – verändern. Wenn wir als Konsumenten unser Verhalten wandeln, hat das System keine andere Wahl, als sich ebenfalls zu ändern“, erklärt Saamdu.
Das Zentrum führt regelmäßige Workshops und Retreats durch, auf seinen 58 Hektar Land in Bumthang, am südlichen Zipfel des Landes im größten Nationalpark des Landes, dem Wangchuck Centennial Park.
„Wir nehmen die Menschen mit auf eine tiefe Reise der inneren Transformation und des Verständnisses. Wir ermutigen die Teilnehmer, die richtigen Fragen über ihr Leben und ihren wahren Daseinszweck zu stellen. Wir helfen ihnen, die Welt mit ihren eigenen Augen zu sehen, um danach zurückzukehren und ihr tägliches Leben zu reflektieren und eine Selbstverwirklichung – eine tiefere Berufung – zu erreichen. Dies hilft ihnen dabei, zu prototypisieren, was sie in ihrem Leben verändern wollen, damit sie genau diese Veränderungen selbst erreichen und aufrecht erhalten können. Diese Art des Wandels beginnt zunächst langsam und sorgfältig und sehbewusst, um danach höchst schnell und effektiv den kompletten eigenen Wesenskern zu transformieren.“
Bhutan exportiert nun bereits seinen ganzheitlichen und nachhaltigen Zugang zum Glück in den Rest der Welt mit Zentren, die bald in Vietnam und Südafrika eröffnet werden sollen.
Nach dieser Denkart ist Glück nicht länger ein Streben, sondern es ist vielmehr eine Fähigkeit, die bewusst und aktiv entwickelt werden kann. Die Pflege des Glückes obliegt danach der eigenen Selbstkontrolle.
Übersetzt aus dem Englischen von leucht-dio.de.
Der Originaltext stammt von LEAH DAVIES aus collectivehub.com, vom August 2016.
Fotos:
Titelfoto „buddhism“: Tama66, Pixabay –
„Dr. Saamdu Chetri“: Foto von collectivehub.com
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