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Das Recht auf Faulheit

„Das Recht auf Faulheit“

pause leuchtdiode photo tama 66 pixabayAuszug aus: Widerlegung des „Rechts auf Arbeit“ (1848)

Paul Lafargue, 1883

Paul Lafargue, 1842 auf Kuba geboren, eng befreundet mit Karl Marx und später dessen Schwiegersohn, formuliert den Wert der Maschinen für ein arbeitsärmeres Leben aller Menschen. Gleichzeitig zeigt er auch unser aktuelles Problem auf, dass nämlich sich das Besitzbürgertum an der Arbeitskraft der Menschen nur bereichert. Dass aber gleichzeitig die Arbeiter in gewisser Weise „selbst Schuld“ sind an jenen Zuständen, da sie sich der Idee, Lohnarbeit sei für die Existenzsicherung unabdingbar, mehr oder minder willenlos fügen.
In nahezu prophetischer Art und Weise formulierte Lafargue vor über 100 Jahren schon unsere aktuellen Probleme der Überproduktion, der Abhängigkeit der Wirtschaft vom Überkonsum, die Abhängigkeit des Staates von der Wirtschaft. Ich habe längere Passagen, die sich mit dem „Aufbau der kommunistischen Welt“ befassen, herausgekürzt, da diese Ideen veraltet bzw. für unsere Gegenwart nicht mehr aktuell sind.

O jämmerliche Fehlgeburt der revolutionären Prinzipien der Bourgeoisie! O grausige Geschenke ihres Götzen Fortschritt! Die Menschenfreunde nennen diejenigen, die, um sich auf die leichte Art zu bereichern, den Armen Arbeit geben, Wohltäter der Menschheit – es wäre besser, die Pest zu säen, die Brunnen zu vergiften, als inmitten einer ländlichen Bevölkerung eine Fabrik zu errichten. Führe die Fabrikarbeit ein, und adieu Freude, Gesundheit, Freiheit – adieu alles, was das Leben schön, was es wert macht, gelebt zu werden.
Die Ökomomen werden nicht müde, den Arbeitern zuzurufen: Arbeitet, damit der Nationalreichtum wächst! Und doch war es einer von ihnen, Destutt de Tracy, der sagte: »Die armen Nationen sind es, wo das Volk sich wohlbefindet; bei den reichen Nationen ist es gewöhnlich arm.«
Und sein Schüler Cherbuliez setzt hinzu: »Indem die Arbeiter zur Anhäufung produktiver Kapitalien mitwirken, fördern sie selbst den Faktor, der sie früher oder später eines Teils ihres Lohnes berauben wird.«

Hier argumentiert Lafargue deutlich gegen die Ausbeutung des „general intellect“, desjenigen Teiles der arbeitenden Intellektuellen aus der Bevölkerung also, der durch kluge Erfindungen eigentlich den Arbeitsaufwand für die Bevölkerung insgesamt verringert, letztendlich aber nur den Unternehmern dient.

Aber von ihrem eigenen Gekrächz betäubt und verwirrt, erwidern die Ökonomen: Arbeitet, arbeitet, um eures Wohlstandes willen! Und im Namen der christlichen Milde predigt der Pfaffe der anglikanischen Kirche, Reverend Townsend: Arbeitet, arbeitet Tag und Nacht; indem ihr arbeitet, vermehrt ihr eure Leiden, und euer Elend enthebt uns der Aufgabe, euch gesetzlich zur Arbeit zu zwingen. Der gesetzliche Arbeitszwang macht »zuviel Mühe, fordert zu viel Gewalt und erregt zuviel Aufregung; der Hunger ist dagegen nicht nur ein friedlicher, geräuschloser, unermüdlicher Antreiber, er bewirkt auch, als die natürlichste Veranlassung zu Arbeit und Fleiß, die gewaltigste Anstrengung.«

Arbeitet, arbeitet, Proletarier, vermehrt den gesellschaftlichen Reichtum und damit euer persönliches Elend. Arbeitet, arbeitet, um, immer ärmer geworden, noch mehr Ursache zu haben, zu arbeiten und elend zu sein. Das ist das unerbittliche Gesetz der kapitalistischen Produktion.

Dadurch, daß die Arbeiter den trügerischen Reden der Ökonomen Glauben schenken und Leib und Seele dem Laster Arbeit ausliefern, stürzen sie die ganze Gesellschaft in jene industriellen Krisen der Überproduktion, die den gesellschaflichen Organismus in Zuckungen versetzen. Dann werden wegen Überfluß an Waren und Mangel an Abnehmern die Werke geschlossen, und mit seiner tausendsträhnigen Geißel peitscht der Hunger die arbeitende Bevölkerung. Betört von dem Dogma der Arbeit sehen die Proletarier nicht ein, daß die Mehrarbeit, der sie sich in der Zeit des angeblichen Wohlstandes unterzogen haben, die Ursache ihres jetzigen Elends ist, und anstatt vor die Getreidespeicher zu ziehen und zu schreien: »Wir haben Hunger, wir wollen essen!… Allerdings haben wir keinen roten Heller, aber wenn wir auch Habenichtse sind, wir sind es gewesen, die das Korn eingebracht und die Trauben gelesen haben«

Ist es nicht bezeichnend, dass ein kluger Kopf bereits vor 134 Jahren den Zustand der Wirtschaft zu beschreiben scheint, wie er sich uns derzeit darstellt?

Ein griechischer Dichter aus der Zeit Ciceros, Antipatros, besang die Erfindung der Wassermühle (zum Mahlen des Getreides) als Befreierin der Sklavinnen und Errichterin des goldenen Zeitalters:
»Schonet der mahlenden Hand, o Müllerinnen, und schlafet sanft! Es verkündet der Hahn euch den Morgen umsonst! Däo hat die Arbeit der Mädchen den Nymphen befohlen, und jetzt hüpfen sie leicht über die Räder dahin, daß die erschütterten Achsen mit ihren Speichen sich wälzen, und im Kreise die Last drehen des wälzenden Steins. Laßt uns leben das Leben der Väter, und laßt uns der Gaben arbeitslos uns freun, welche die Göttin uns schenkt.«
Ach! Die Zeit der Muße, die der heidnische Dichter verkündete, ist nicht gekommen; die blinde, perverse und mörderische Arbeitssucht hat die Maschine aus einem Befreiungsinstrument in ein Instrument zur Knechtung freier Menschen umgewandelt: die Produktionskraft der Maschine verarmt die Menschen.
Und während der Mensch seinen Magen zusammenschnürt und die Produktivität der Maschine wächst, wollen uns die Ökonomen die Malthussche Theorie, die Religion der Enthaltsamkeit und das Dogma der Arbeit predigen? Man sollte ihnen lieber die Zunge ausreißen und den Hunden zum Fraß vorwerfen.
Da jedoch die Arbeiterklasse in ihrer Einfalt sich den Kopf hat verdrehen lassen und sich mit ihrem kindlichen Ungestüm blindlings in Arbeit und Enthaltsamkeit gestürzt hat, so sieht sich die Kapitalistenklasse zu erzwungener Faulheit und Üppigkeit, zur Unproduktivität und Überkonsum verurteilt. Und wenn die Überarbeit des Proletariers seinen Körper abrackert und seine Nerven zerrüttet, so bringt sie dem Bourgeois nicht weniger Leiden.
Die Enthaltsamkeit, zu welcher sich die produktive Klasse hat verurteilen lassen, macht es der Bourgeoisie zur Pflicht, sich der Überkonsumtion der zuviel verfertigten Produkte zu widmen. Zu Anfang der kapitalistischen Produktion, vor ein oder zwei Jahrhunderten, war der Bourgeois noch ein ordentlicher Mann mit vernünftigen und friedlichen Sitten: er begnügte sich mit einer Frau, wenigstens beinahe, er trank nur, wenn er Durst, und aß nur, wenn er Hunger hatte. Er überließ den Höflingen und Hofdamen die adligen Tugenden der Ausschweifung.
Aber so groß dieses Heer von unnützen Mäulern, so unersättlich seine Gefräßigkeit auch ist, es reicht immer noch nicht, um alle Waren zu konsumieren, welche die durch das Dogma von der Arbeit verdummten Arbeiter wie Besessene erzeugen, ohne sie konsumieren zu wollen, ohne sich darum zu kümmern, ob sich überhaupt Leute finden, die sie konsumieren.
Und so besteht, angesichts der doppelten Verrücktheit der Arbeiter, sich durch Überarbeit umzubringen und in Entbehrungen dahinzuvegetieren, das große Problem der kapitalistischen Produktion nicht darin, Produzenten zu finden und ihre Kräfte zu verzehnfachen, sondern Konsumenten zu entdecken, ihren Appetit zu reizen und bei ihnen künstliche Bedürfnisse zu wecken.
Und da die europäischen Arbeiter, vor Hunger und Kälte zitternd, sich weigern, die Stoffe, die sie weben, zu tragen, den Wein, den sie ernten, zu trinken, so sehen sich die armen Fabrikanten genötigt, wie Wiesel in ferne Länder zu laufen und dort Leute zu suchen, die sie tragen und trinken. Hunderte von Millionen und Milliarden sind es, welche Europa jährlich nach allen vier Enden der Welt zu Völkern exportiert, die nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Die erforschten Erdteile sind ihnen nicht groß genug, daher brauchen sie jungfräuliches Land.
Wenn die Arbeiterklasse sich das Laster, welches sie beherrscht und ihre Natur herabwürdigt, gründlich aus dem Kopf schlagen und sich in ihrer furchtbaren Kraft erheben wird, nicht um die »Menschenrechte« zu verlangen, die nur die Rechte der kapitalistischen Ausbeutung sind, nicht um das »Recht auf Arbeit« zu fordern, das nur das Recht auf Elend ist, sondern um ein ehernes Gesetz zu schmieden, das jedermann verbietet, mehr als drei Stunden pro Tag zu arbeiten, dann wird die alte Erde, zitternd vor Wonne, in ihrem Inneren eine neue Welt sich regen fühlen — aber wie soll man von einem durch die kapitalistische Moral verdorbenen Proletariat einen männlichen Entschluß verlangen!

Wie verblendet sind wir derzeit, wenn eine Mehrheit immer noch jenes „Recht auf Arbeit“ einklagen möchte und wir immer noch nicht begreifen, dass wir uns und unserem Planeten durch unsere Arbeitskraft, in der jetzigen Form genutzt und ausgebeutet, viel mehr schaden als nutzen?

Die alten Philosophen stritten sich über den Ursprung der Ideen, aber sie waren sich einig, wenn es galt, die Arbeit zu verabscheuen.

»Die Natur«, schreibt Plato in seiner Gesellschaftsutopie, in seiner Musterrepublik, »die Natur hat weder Schuhmacher noch Schmiede geschaffen; solche Berufe entwürdigen die Leute, die sie ausüben: billige Söldner, Elende ohne Namen, die durch ihren Stand bereits von den politischen Rechten ausgeschlossen sind. Was die Händler betrifft, die an Lug und Betrug gewöhnt sind, so wird man sie in der Gemeinde nur als ein notwendiges Übel betrachten. Der Bürger, der sich durch Handelsgeschäfte erniedrigt, soll für dieses Verbrechen bestraft werden. Wird er überführt, so soll er zu einem Jahr Gefängnis verurteilt werden. Bei jedem Rückfall ist die Strafe zu verdoppeln.«

In seiner Ökonomie schreibt Xenophon: »Die Leute, die sich mit Handarbeit abgeben, werden nie zu höheren Posten erhoben, und man hat ganz recht. Gezwungen, den ganzen Tag zu sitzen, einige sogar, ein beständiges Feuer auszuhalten, werden die meisten von ihnen es nicht verhindern können, daß ihr Körper sich verunstaltet und es ist kaum möglich, daß sich das nicht auch auf den Geist zurückwirkt.«

»Was kann aus einem Laden Ehrenhaftes kommen?« erklärt Cicero, »und was kann der Handel Ehrenvolles hervorbringen? Alles, was Laden heißt, ist eines ehrenhaften Mannes unwürdig …, da die Kaufleute, ohne zu lügen, nichts verdienen können; und was ist schändlicher als die Lüge? Deshalb muß das Gewerbe derer, die ihre Mühe und Geschicklichkeit verkaufen, als niedrig und gemein betrachtet werden, denn wer seine Arbeit für Geld hergibt, verkauft sich selbst und stellt sich auf eine Stufe mit den Sklaven.«

»Das Vorurteil der Sklaverei beherrschte den Geist von Aristoteles und Pythagoras«, hat man verächtlich geschrieben, und doch sah Aristoteles voraus: »Wenn jedes Werkzeug auf Befehl oder auch vorausahnend das ihm zukommende Werk verrichten könnte, wie des Dädalus‘ Meisterwerke sich von selbst bewegten, oder die Dreifüße des Hephaistos aus eigenem Antrieb an die heilige Arbeit gingen, wenn so die Webschiffchen von selbst webten, dann bräuchte der Werkmeister keinen Gehilfen, die Herren keine Sklaven.«

Der Traum des Aristoteles ist heute Wirklichkeit geworden. Unsere Maschinen verrichten feurigen Atems, mit stählernen, unermüdlichen Gliedern, mit wunderbarer, unerschöpflicher Zeugungskraft, gelehrig von selbst ihre heilige Arbeit; und doch bleibt der Geist der großen Philosophen des Kapitalismus beherrscht vom Vorurteil des Lohnsystems, der schlimmsten Sklaverei. Sie begreifen noch nicht, daß die Maschine der Erlöser der Menschheit ist, der Gott, der den Menschen von den sordidae artes, den schmutzigen Künsten und der Lohnarbeit loskaufen, der Gott, der ihnen Muße und Freiheit bringen wird.

Von uns erschaffene Technologie nimmt uns die Arbeit ab. Genau zu diesem Zwecke haben wir Menschen sie konstruiert. Die arbeitenden Maschinen benötigen keine ausgewogene Work-Life-Balance, sie zahlen keine Steuern und sie konsumieren auch nicht. Insofern ist die Basis für das seit Jahrhunderten gültige System „Brot gegen Arbeit“ nicht mehr vorhanden.

Es ist an der Zeit, das „bürgerliche Betriebssystem umzuschreiben“ wie der Philosoph Richard David Precht es ausdrückt. Die Utopie der Vollbeschäftigung muss einem Recht auf ein Leben weichen, das nicht mehr vorrangig vom Arbeitszwang bestimmt ist.

Titelfoto: „break“ von Tama66, Pixabay

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