Auf den Trümmern das Paradies
Ja warum denn nicht?
Klar, das sieht alles schon komisch aus. Kaum wird ein bisschen „gelockert“, schon zieht es die Menschen raus in die Sonne. Sie demonstrieren, viel zu nah beieinander, gegen und für wasauchimmer. Schlimm. Doof. Unverantwortlich. Lächerlich.
Ich trage meine Maske. Halte meinen Abstand ein. Bin so gesehen ein braver Bürger. Ja warum denn nicht? Ist das alles hier wirklich eine Einschränkung meiner Freiheit? Oder eben einfach nur der – zugegeben reichlich unbeholfene – Versuch unserer „Elite“, eines Naturphänomens Herr oder Frau zu werden. Was wissen die schon? Was wissen wir schon. Befinden wir uns vielleicht einfach nur weiterhin im finsteren Mittelalter und experimentieren herum? Sei das erlaubt?
Und jetzt? Bürger-Bashing, nur weil viele sich nach ihrem Biergarten und nach sozialen Kontakten sehnen? Sind diese Kontakte möglicherweise „systemrelevanter“ als unsere Autoindustrie und Arbeitsplätze? Wer will das denn mit Sicherheit wissen?
Nur mal so als Idee: Vielleicht ist das Virus und die damit zusammenhängenden Konsequenzen gut für uns. Mittelfristig gesehen mindestens. Vielleicht muss endlich eine Welle der Veränderung durch unsere Gesellschaft gehen, damit das alte, überholte System ewigen Wachstums endlich zugrunde geht. Also lasst sie demonstrieren, schreien, sich infizieren. Lasst sie sich vor den Geisterspiel-Bundesligastadien gröhlend treffen. Das alles ist nicht schön. Aber die „Normalität“, die für Hunger und Umweltzerstörung sorgt und letztlich den Fortbestand der Menschheit per se infrage stellt, ist wesentlich hässlicher. Das, was wir „normal“ nennen, nützt nur wenigen betuchten Herrschaften.
Auf den Trümmern das Paradies. Vielleicht reichen drei Stunden „Arbeit“, wie wir sie noch definieren, tatsächlich aus. Haben wir doch die Maschinen und Roboter und KIs, die uns die Arbeit abnehmen, absichtlich selbst geschaffen. Wofür? Damit wir wieder mehr Zeit für das besitzen, was uns als Menschen tatsächlich ausmacht? Drei Stunden statt acht. Das bedeutet, wir haben fünf Stunden mehr Zeit für die überfällige Entfaltung unserer in den vergangenen Jahrhunderten wegmalochten Potenziale. 9-to-5 Brötchen verdienen als Kassiererin im Lidl oder im Callcenter, damit die Telekom noch mehr Dividenden an ihre Aktionäre auszahlen kann? Ist es das, was wir wollen? Ist es das, wozu wir fähig sind? Ist es das, was der „Masterplan“ für eine selbst-bewusste Spezies vorgesehen hat?
Ich werde weiterhin meine Maske tragen und Abstand halten. Aber ich habe nichts dagegen, wenn im Falle eines erneuten Anstieges der Infektionsrate (dank des dummen – oder möglicherweiese instinktiv nicht so verkehrten – Verhaltens meiner Artgenossen) noch mehr „Wirtschaft“ den Bach runter geht. Wir werden daran mit Sicherheit nicht zugrunde gehen. Aber wir können umdenken, kreativ werden, miteinander neu denken, neu gestalten, neu überleben.
(Foto: Shutterstock)
Bloss nicht zurück zum „Normaal“.