Bullshit Job für die Telekom
Margret Suckale ist eine in Hamburg geborene deutsche Managerin. Gebürtig in Hamburg ist sie aktuell Mitglied in den Aufsichtsräten der HeidelbergCement und Deutsche Telekom. Sie nahm an der Podiumsdiskussion im Anschluss an den Vortrag von Richard David Precht in Mannheim Teil. Im Anschluss gabs ein „meet and greet“, und ich habe ihr zwei Tage später diesen Brief und meine Fragen vorgelegt. Bis dato wollte sich Frau Suckale dazu leider nicht äußern.
Betr.: „Zukunft der Arbeit“ Vortrag und Podiumsdiskussion in Mannheim – Fragen
Sehr geehrte Frau Suckale,
als freier Journalist und Blogger für diedigitale by Schaller und Partner, seit vielen Jahren Baden-Württembergs Werbeagentur Nr. 1, habe ich mit großem Interesse den Vortrag von Richard David Precht und die anschließende Podiumsdiskussion im Mannheimer „Capitol“ am vergangenen Mittwoch verfolgt.
Man kann, wie Sie ja auch selbst betont haben, zu den Ideen von Precht und speziell zum bedingungslosen Grundeinkommen geteilter Meinung sein. Ich hörte aus Ihren Antworten im Rahmen der Podiumsdiskussion heraus, dass Sie Herrn Precht zustimmen, wenn er eine breite gesellschaftliche Debatte darüber fordert, wie wir die Lebens- und Alltagswelt gestalten wollen und wie wir Wertschöpfung in der digitalen Welt erzielen können. Leider finden Debatten über das bedingungslose Grundeinkommen speziell mit Arbeitgebervertretern häufig auf einem unwürdigen Niveau statt. Ihr sehr aufgeschlossen geführter Dialog mit Herrn Precht hat mir Hoffnung gemacht, Ihnen auch eine etwas unbequemere These vorstellen zu können
Sie als Insiderin bzw. profunde Kennerin der Gedankenwelt auf dem Top-Management Level großer deutscher Konzerne, und hier insbesondere der deutschen Telekom, möchte ich daher für ein aktuelles Projekt gerne mit ein paar kurzen Ideen und Fragen konfrontieren und wäre höchst dankbar für eine Resonanz ganz im Sinne eben der erwähnten „breiten gesellschaftlichen Debatte“.
Hintergrund meiner Recherche über die Qualität der Arbeit ist einerseits Ihre Aussage „Arbeit ist mehr als ein Broterwerb und ist für viele ein Sinn stiftendes Element im Leben“ und andererseits ein aktuelles Interview meinerseits mit mehreren Arbeitskräften in einem Mannheimer Call-Center, die für die deutsche Telekom als Kundenberater arbeiten. Deren Statements haben mich betroffen und nachdenklich gemacht, und es ist mir fast schon unangenehm, Sie damit zu konfrontieren, da die angesprochenen Probleme kaum direkt in Ihrem Einflussbereich liegen. Nichtsdestotrotz sind die Aussagen meiner Interviewpartner bedenkenswert, wenn es um die Einschätzung von Sinnhaftigkeit und Qualität der Arbeit geht.
Zusammenfassend sagen diese Menschen, ein Student, eine ehemalige Sekretärin eines mittelständischen Unternehmens sowie ein „ausrangierter“ früherer Fernfahrer mit Universitätsabschluss, über ihren Alltag als Mitarbeiter für die dt. Telekom folgendes aus:
Eingestellt sei man als „Kundenberater“, der sich um Probleme der anrufenden Klienten des Konzerns kümmert. Ausgebildet würde man jedoch ausschließlich als Verkäufer. Bezahlt werde ein Lohn knapp oberhalb des Mindestlohnes, und dies obwohl einige Problemlösungen erhebliches technisches Vorwissen voraussetzten. Klare Aussage meiner Interviewpartner dazu: „Die Mitarbeiter werden deshalb so minimal bezahlt, um den Leidensdruck aufzubauen, der sie dazu bringt, nach den durchaus attraktiven Provisionen für Verkäufe zu gieren“. Wer nicht im Rahmen vorgegebener Zahlen verkauft, oder wer ausbrennt, wird sofort ersetzt. Werbung in Bahnhöfen, auf öffentlichen Plätzen und eine enge Kooperation mit Zeitarbeitsfirmen und den Jobcentern garantiert das lückenlose Auffüllen fehlender Manpower. Der Auftraggeber, in diesem Falle die deutsche Telekom, kann darauf spekulieren, dass es unabhängig von Fluktuation, Krankheit uvm. immer einen täglichen Prozentsatz garantierter Neukundenverträge für angebotene Produkte gibt.
„In der Vorstandsetage“, so ein Interviewpartner, „weiß man ganz genau um die täglichen Zahlen. Es kann an Schrauben gedreht werden, um weiteres Wachstum zu fördern. Der Mensch am Ende der Kette, der diese Zahlen ermöglicht, ist unwichtig. Man kann, wenn der Markt mit einem Produkt gesättigt ist, ein neues Produkt erfinden und weitere Kunden generieren. Unabhängig davon, ob diese Produkte gebraucht werden – die Mitarbeiter brauchen die Abschlüsse, sonst können sie nicht überleben! Sie tun alles, bis hin zu Betrug, um weitere Vertragsabschlüsse zu realisieren.“
In früheren Jahren (2015/2016) wurde bspw. offenbar ein Produkt verkauft, das den Kundenkreis der ab 5-Jährigen über ihre Eltern bedienen sollte. Eine Mitarbeiterin im Call Center, selbst Mutter, sagte aus, sie sei depressiv geworden, musste sie sich doch vorstellen, wie diese Verkaufstaktik das Mobbing ihres Sohnes bereits im Kindergarten fördern würde, wenn seine Spielkameraden sich in diesem Alter bereits mit ihren Smartphones brüsten würden. Sie habe „Beklemmungen und Bauchschmerzen“ erfahren, wenn sie von der Teamleitung im Call-Center aufgefordert worden sei, diese Verträge anzubieten und „endlich Abschlüsse zu machen“.
Ich möchte betonen, dass es in meiner Recherche keinesfalls darum geht, Sündenböcke zu finden oder Anklagen zu erheben. Vielmehr sollen diese Nachforschungen überlebensnotwendige Annäherungen verschiedener Interessengruppen fördern. Dazu musste ich kurz das Bild nachzeichnen, das mir auf der Arbeitnehmer-Seite der Medaille von den Betroffenen gezeichnet wurde: Mitarbeiter, die davon überzeugt sind, dass sie Dinge tun, die den Menschen, der Umwelt, der Gesellschaft schaden und nur „die Aktionäre zufriedenstellen, die jährliche Wachstumsraten erwarten“. Eine solche Arbeit ist sicherlich alles andere als „Sinn stiftend“.
Arbeitgeber können also mit dem „Menschenmaterial“ rechnen, denn sogar wenn die angebotene Arbeit Menschen in Konflikt mit sich selbst bringt, es ist eben dennoch „Arbeit“ Sie wird, ganz gleich ob Sinn stiftend, ethisch vertretbar, „klimaverträglich“, nachhaltig oder nicht, geschluckt und ausgeführt. Hinter dieser Systematik steckt der Hebel des Hungers: Ohne den Job kein Überleben. Dieser Gedankengang bringt mich zu den entscheidenden Fragen, die sich im Laufe der Podiumsdiskussion mit Herrn Precht und Ihnen aufgedrängt haben:
- Ist ein Bedingungsloses Grundeinkommen nicht weit mehr als eine monetäre Grundsicherung für Menschen und die dringend erforderliche Verstärkung ihrer Kaufkraft: Ist es nicht vielmehr eine Garantie für die Freiheit des Einzelnen, sich seine Arbeit (und das was er/sie als „Sinn stiftend empfindet“ selbst auszuwählen?
- Und damit möglicherweise einen Hebel in der Hand zu halten, der Konzerne, Politik uam. zum (dringend erforderlichen) Umdenken bewegen muss?
- Und ist am Ende genau diese Tatsache der wirkliche Grund dafür, warum Konzerne die Lösung Grundeinkommen zum Teil vehement ablehnen?
- Ist es aber nicht, ganz im Gegenteil, für einen Konzern wie die dt. Telekom sogar höchst interessant, mit Mitarbeitern zu arbeiten, die ihren Job tatsächlich als Sinn stiftend ansehen und dementsprechend wesentlich leistungsfähiger und motivierter sind? Oder ist dies egal, da ja genügend Mitarbeiter „nachkommen“?
- Ist es aber nicht wichtig, für unsere nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Welt, eine intakte Umwelt und ein System zu gestalten, in dem die grundgesetzlich garantierte Recht auf Menschenwürde tatsächlich unangetastet bleibt? Im besagten Call Center jedenfalls wurde sie, laut einhelliger Meinung der Interviewpartner, mit Füßen getreten. Denn denjenigen, den man zur Arbeit zwingen kann, muss man nicht respektieren.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie sich als Insiderin dieser Fragen annehmen könnten. Ich wünsche mir, selbst langjährig selbständiger Unternehmer, starke, leistungsfähige Konzerne, eine weiterhin florierende Wirtschaft sowie erfüllte, starke, lebensfrohe Menschen. Ganz im Sinne Richard David Prechts, der die vielfältigen Möglichkeiten für technologischen Fortschritt, für Erfindungen im Sinne des Klimaschutzes und der Menschheit an sich, hervorgehoben hat.
Meine Fragen sind der intellektuelle Versuch, verschiedene Interessengruppen aneinander heranzuführen. Ich frage mich, ob das derzeitige „bürgerliche Betriebssystem“, wie es Precht formuliert, einer Umschreibung dringend bedarf. Möglicherweise führt das dazu, dass Konzerne nicht mehr dieselben Gewinne einstreichen. Aber der Preis für diese in der Vergangenheit erzielten Gewinne sollte uns Menschen, ohne Berücksichtigung unserer beruflichen Position, als zu hoch erscheinen. Zumindest dann, wenn wir auch unseren Enkelkindern auf diesem Planeten noch eine lebenswerte Zukunft „erwirtschaften“ wollen.
Ich bedanke mich für Ihre Zeit und freue mich auf ein spannendes Gespräch.
Titelfoto: „Call-Center“, Peggy und Marco Lachmann-Anke, Pixabay